Die Geschichte des Dresdner Christstollens
Der Dresdner Christstollen, eine der bekanntesten deutschen Weihnachtstraditionen, hat eine lange und faszinierende Geschichte, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Ursprünglich entstand dieser weihnachtliche Kuchen im 15. Jahrhundert in der Region um Dresden, und seitdem hat er sich zu einem Symbol der Weihnachtszeit entwickelt, nicht nur in Sachsen, sondern in ganz Deutschland und darüber hinaus.
Bernardo Bellotto, Dresden Ansicht, 1748
Ursprung und erste Erwähnung
Der Ursprung des Stollens lässt sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Der erste schriftliche Nachweis eines „Stollens“ stammt aus dem Jahr 1329 in Naumburg (Saale), doch auch in Dresden wird bereits zu dieser Zeit ein ähnliches Gebäck hergestellt. Der Christstollen, wie wir ihn heute kennen, entwickelte sich jedoch erst im Laufe der Jahrhunderte aus einem einfachen Fastengebäck.
Ursprünglich war der Stollen ein sehr schlichtes Brot, das aus Mehl, Wasser und Hefe bestand. Dies lag daran, dass während der Fastenzeit, die im Christentum vor Weihnachten eine bedeutende Rolle spielt, auf Butter und Milch verzichtet werden musste. Die katholische Kirche verbot während dieser Zeit den Gebrauch von Butter und Milch, weshalb das Gebäck relativ geschmacklos war.
Ab dem 15. Jahrhundert wurde der Stollen auf dem Dresdner Striezelmarkt kurz vor Weihnachten feilgeboten. Statt aufwendiger Marktbuden, wie sie heutzutage zu finden sind, wurden die sogenannten Gebildbrote zu Beginn lediglich auf Brettern ausgelegt. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich der Markt zu einem Handelsort, der von verschiedenen Zünften aufgesucht und damit um ein vielseitiges Angebot erweitert wurde.
Der Stollen, wie er heute bekannt ist, verdankt seine reichhaltige Rezeptur einem wichtigen historischen Ereignis: dem sogenannten "Butterbrief". Im Jahr 1491 baten die Bäcker von Sachsen Papst Innozenz VIII. um Erlaubnis, Butter anstelle von Öl im Stollen zu verwenden. Da Öl teuer und schwer erhältlich war, beeinträchtigte dies die Qualität des Gebäcks. Der Papst entsprach schließlich dem Wunsch und erließ einen "Butterbrief", der es den sächsischen Bäckern gestattete, Butter zu verwenden, allerdings unter der Bedingung, dass sie eine Abgabe an die Kirche zahlten. Diese Regelung galt zunächst nur für den sächsischen Adel, wurde aber bald auf die gesamte Bevölkerung ausgeweitet. Dieses Ereignis markiert den Beginn der Weiterentwicklung des Stollens hin zu einem reichhaltigeren Gebäck.
Der Butterbrief veränderte alles
Der Butter-Brief von Papst Innozenz VIII, aus dem Schwyzer Staatsarchiv (Foto-Quelle: unbekannt)
Der Aufstieg des Dresdner Christstollens
Im 16. und 17. Jahrhundert entwickelte sich Dresden zu einem kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum Europas. Auch die Herstellung von Christstollen erlebte in dieser Zeit eine Blüte. Der Stollen wurde zunehmend verfeinert, indem man Zutaten wie Trockenfrüchte, Mandeln und Gewürze hinzufügte. Der Dresdner Hof, unter der Regentschaft von August dem Starken, war bekannt für seine prächtigen Feste und luxuriösen Speisen, und der Stollen wurde zu einem festen Bestandteil der weihnachtlichen Festtafel.
Die Tradition des Dresdner Stollens wurde über Generationen weitergegeben, und die Rezepturen verfeinerten sich ständig. Während im 16. Jahrhundert noch zahlreiche unterschiedliche Rezepturen in Umlauf waren, kristallisierte sich im Laufe der Zeit ein einheitliches Rezept heraus, das den Grundstein für den heutigen Dresdner Stollen legte. Die Qualität des Dresdner Stollens sprach sich weit über die Stadtgrenzen hinaus herum, und er wurde bald zu einem beliebten Geschenk an Fürsten und Könige.
Fürstenzug, Auszug, WikiCommons: JoJan
Das Zeithainer Lustlager als Auftakt der Legende
Das Zeithainer Lustlager bildete in diesem Zusammenhang ein gigantisches militärisches und höfisches Fest, das im Juni 1730 auf einer Ebene bei Zeithain, in der Nähe von Dresden, stattfand. Organisiert von August dem Starken, dem Kurfürsten von Sachsen und König von Polen, sollte das Lager die militärische Macht und den Wohlstand Sachsens demonstrieren. Es handelte sich um eine riesige Inszenierung, bei der Tausende von Soldaten in prächtigen Uniformen aufmarschierten, und zahlreiche Feste und Bankette abgehalten wurden. Das Lustlager dauerte mehrere Wochen und zog hochrangige Gäste aus ganz Europa an, darunter auch Kaiser Karl VI.
Lager bei Zeithain, Johann Alexander Thiele (WikiCommons)
Zeithainer Riesenstollen, 1733, unbekannt.
Der Riesen-Christstollen
Im Rahmen des Zeithainer Lustlagers ließ August der Starke einen besonders spektakulären Christstollen backen, der als „Riesenchriststollen“ in die Geschichte einging. Dieser Stollen war nicht nur groß, sondern ein wahres Meisterwerk der Backkunst. Er wog etwa 1,8 Tonnen und war so groß, dass spezielle Geräte und Werkzeuge, wie ein riesiges Messer und eine eigens gefertigte Backform, nötig waren, um ihn herzustellen und zu zerteilen.
Der Stollen war so imposant, dass er nicht nur die Gäste des Lustlagers beeindruckte, sondern auch als Symbol für den Reichtum und die Großzügigkeit Augusts des Starken galt. Der Riesenchriststollen wurde während eines großen Festmahls serviert und unter den anwesenden Gästen verteilt, was die Inszenierung der sächsischen Pracht auf die Spitze trieb.
Der Riesenchriststollen des Zeithainer Lustlagers trug erheblich zur Legendenbildung um den Dresdner Christstollen bei und festigte seinen Ruf als besonders prächtiges und reichhaltiges Weihnachtsgebäck. Es unterstrich die Bedeutung des Stollens als Luxusartikel und als Ausdruck des Wohlstands und der Gastfreundschaft. Die Verbindung zu August dem Starken, einer der schillerndsten Persönlichkeiten der sächsischen Geschichte, verlieh dem Dresdner Stollen zusätzlichen Glanz und machte ihn über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Die Inszenierung eines solchen Großereignisses mit einem riesigen Christstollen trug dazu bei, dass der Stollen in Dresden nicht nur als Gebäck, sondern als kulturelles Symbol betrachtet wurde. Die Tradition, große Stollen zu backen und sie feierlich zu präsentieren, lebt bis heute in Form des Dresdner Stollenfestes weiter, bei dem ebenfalls ein überdimensionaler Stollen durch die Stadt gezogen wird.
Ein Stollen stand für Tradition & Luxus
Der Dresdner Stollen im 19. und 20. Jahrhundert
Striezelmarkt in Dresden, Ansicht von oben (©LH DD/Dittrich, WikiCommons)
Im 19. Jahrhundert begann der Dresdner Stollen, sich auch international einen Namen zu machen. Dresden wurde zu dieser Zeit als „Elbflorenz“ gefeiert, und seine kulturelle Blütezeit zog Besucher aus aller Welt an. Der Stollen, der nunmehr unter dem Namen „Dresdner Christstollen“ bekannt war, wurde zum Symbol dieser Stadt und ihrer reichen Traditionen.
Im 20. Jahrhundert, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, wurden viele traditionelle Dresdner Bäckereien zerstört, doch die Tradition des Stollens blieb bestehen. In den 1950er Jahren wurde der Dresdner Stollen durch das Stollenfest, das jedes Jahr am Samstag vor dem zweiten Advent stattfindet, weiter populär gemacht. Dabei wird ein riesiger Stollen gebacken und in einem festlichen Umzug durch die Stadt gefahren. Der Stollen wird anschließend auf dem Striezelmarkt, einem der ältesten Weihnachtsmärkte Deutschlands, verkauft.
Der Schutz des Dresdner Christstollens
Um die Qualität und das Ansehen des Dresdner Stollens zu bewahren, wurde 1997 der „Schutzverband Dresdner Stollen e.V.“ gegründet. Dieser Verband setzt sich für den Schutz der geografischen Herkunftsbezeichnung „Dresdner Christstollen“ ein, sodass nur Stollen, die in Dresden und nach strengen Qualitätsrichtlinien hergestellt werden, diesen Namen tragen dürfen. Der Dresdner Stollen wird nach einem traditionellen Rezept hergestellt, das unter anderem Butterschmalz, süße und bittere Mandeln, Zitronat, Orangeat, Sultaninen und Hefe vorschreibt. Diese Zutaten sorgen für den charakteristischen Geschmack und die typische Konsistenz des Stollens.
Der Dresdner Christstollen ist mehr als nur ein Gebäck – er ist ein Stück Kulturgeschichte, das die weihnachtlichen Traditionen Dresdens und Sachsens auf eindrucksvolle Weise widerspiegelt. Über Jahrhunderte hinweg hat sich der Stollen von einem einfachen Fastenbrot zu einem weltweit geschätzten Weihnachtsgebäck entwickelt. Seine lange Geschichte, die mit dem „Butterbrief“ des Papstes begann und über die Pracht des sächsischen Hofes bis in die moderne Zeit reicht, macht den Dresdner Stollen zu einem Symbol für handwerkliche Qualität und kulinarische Tradition. Um dies zu ehren veranstaltet der Schutzverband Dresdner Stollen e. V. seit 1994 das sogenannte "Dresdner Stollenfest", bei dem ein Riesenstollen angeschnitten und Teile hiervon an alle Begeisterten verkauft werden.
Nachbildung des großen Stollenmessers aus dem Zetihainer Lager, welches noch heute für die Zeremonie des Stollenfestes verwendet wird. (Foto: Paulae, WikiCommons)